Hamburg. In einem in Norddeutschland einmaligen Modell der Kombination aus Trauerzentrum und Kolumbarium geht das Erzbistum Hamburg in der katholischen Hamburger Gemeinde St.
Thomas Morus einen ungewöhnlichen Weg bei der Neunutzung seiner Kirchen. Die Einweihung ist für das Frühjahr 2016 geplant.
Schon von außen wirkt St. Thomas Morus wie ein Kind seiner Zeit, den 1970er Jahren. Mit seiner Kombination aus hellrotem Backstein, wenigen raumhohen Glasfenstern und sichtbaren Betonelementen kann das Gotteshaus im Hamburger Stadtteil Stellingen architektonisch seine Herkunft aus der Reformzeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil nicht leugnen. Im Kirchraum sind der freistehende Altar, die im Halbkreis angeordneten Bänke oder der offene Taufstein Zeugen einer Aufbruchstimmung, die die katholische Kirche auch hierzulande vor vier Jahrzehnten erlebte. Wer die Zeitreise aber in den Räumen im angeschlossenen Gemeindezentrum fortsetzt, merkt sofort: Zwischen braunen Deckenlampen, braunen Tischen, beige-braunen Sesseln und Sofas und einem alten Kickergerät ist die Zeit der 70er- und 80er auch ein wenig stehengeblieben.
Doch damit ist die etwa 4000 Mitglieder zählende Gemeinde, die gleich in der Nähe des bekannten Tierparks Hagenbeck liegt, nicht allein. Im Gegenteil: St. Thomas Morus ist ein typisches Beispiel für zahlreiche katholische Kirchen in Deutschland. Seit einigen Jahren schon gehört St. Thomas Morus gemeinsam mit St. Gabriel in Eidelstedt zur benachbarten Pfarrei St. Ansgar in Hamburg-Niendorf. Mit dieser teilt man sich Pfarrer und Kaplan. Stichwort: Priestermangel. Pfarrwohnung und Gemeinderäume stehen meist leer. „Schon seit 2008 denken wir deshalb über eine neue, erweiterte Nutzung nach“, sagt Peter Knorn vom Erzbistum Hamburg.
Die Idee: Kirche und angeschlossene Räumlichkeiten sollen in einer Art Modellprojekt in Kürze in das „Katholische Trauerzentrum St. Thomas Morus Hamburg“ umgewandelt werden. Neu daran sei die deutschlandweit bislang einmalige Kombination von Trauerzentrum und Kolumbarium, so der promovierte Theologe Knorn. „Zu Kolumbarien, also Grabkammern für Urnen, sind bereits zahlreiche, auch katholische Kirchen in Deutschland umgestaltet worden“, sagt der 55-jährige Knorn, der als Leiter der Geschäftsstelle der kürzlich für die kommende Institution gegründeten Erzbischöflichen Stiftung öffentlichen Rechts vorsteht. „Doch die Einbindung eines Trauerzentrums, wie wir es uns vorstellen, gibt es bislang in Norddeutschland nicht.“
Erfahrungen mit der Gestaltung eines Kolumbariums hat Peter Knorn zwar bereits gesammelt. Im August 2012 wurde die von ihm geführte Urnengrabstätte im Hamburger Mariendom eingeweiht. Von den dortigen 1566 Urnenplätzen ist inzwischen ein gutes Dutzend zum Preis von 3300 Euro für eine Nutzungsdauer von 20 Jahren belegt. „Ein Trauerzentrum gibt es dort nicht“, sagt Knorn. „Damit betreten wir Neuland. Denn wir möchten eine Ganzheitlichkeit anstreben, die vielen Menschen bisher fehlt.“ Die Idee: Während in der auch weiterhin für Gottesdienste genutzten Gemeindekirche von Thomas Morus zunächst 400 bis 500 und später je nach Bedarf weitere Urnengrabstätten entstehen, ist das angeschlossene Trauerzentrum eine offene Anlaufstelle für Hinterbliebene mit ihren Fragen, Sorgen und Nöten. Das Konzept dahinter sei eine „Gemeinschaft der Lebenden und der Toten“, so Knorn.
„Hier wird es einen Abschiedsraum geben, in dem die Toten aufgebahrt sein können. Daneben finden Trauernde bei uns kompetente Seelsorger oder Laien-Gesprächspartner für Gespräche allein oder in Gruppen. Dies kann auch praktische Alltagsfragen oder eine Sozialberatung einschließen.“ Auch ein Trauercafé, in dem sich die Angehörigen begegnen, austauschen und helfen können, ist geplant. Ein weiteres wichtiges Standbein des Trauerzentrums ist die Aus- und Weiterbildung interessierter Laien zu Trauerbegleitern durch Kurse, Vorträge und andere Veranstaltungen. Entscheidend in der ganzen Arbeit des neuen Hamburger Trauerzentrums ist für Projektleiter Peter Knorn der offene Ansatz: „Unser Trauerzentrum entsteht zwar auf einem katholischen Fundament, soll aber für alle Konfessionen offen sein. Ebenso wenig ist es auf den Stadtteil beschränkt, sondern für die ganze Stadt Hamburg und das Umland da.“
Wie teuer das neue Trauerzentrum Thomas Morus wird, ist noch unklar. Derzeit, so Peter Knorn, ermittle ein vierköpfiger Stiftungsrat die Kosten für Renovierung und Umbau der Gebäude, die auf das Erzbistum zukommen. Nach monatelangen Vorbereitungen wurde im August der Bauantrag beim zuständigen Bezirksamt Eimsbüttel gestellt. Die Planungen liegen in den Händen des Architekten des Bau-Instituts Hamburg-Harburg. Wie lange Umbau und Anlaufphase dauern, sei nicht vorauszuberechnen. Knorn: „Klar ist, wir brauchen einen langen Atem.“
Dass das Hamburger Modell Erfolg haben kann, zeigt ein Beispiel aus dem Bistum Essen. Dort fungiert in Mülheim-Dümpten die in den 1960ern erbaute Gemeinde Heilig Kreuz bereits seit Anfang 2009 erfolgreich als „Auferstehungskirche“. Der Umbau zur Urnenbeisetzungsstätte erfolgte als Pilotprojekt nach einem Wettbewerb. Das örtliche Trauerzentrum wird pastoral getragen von engagierten Profis und Laien. Ein Allheilmittel aber sei die Umnutzung von Kirchen als Kolumbarien oder Trauerzentren nicht, warnt Herbert Fendrich. Der Bischöfliche Beauftragte für Kirche und Kunst kümmert sich seit fast zehn Jahren in Essen um das Thema – seinerzeit fiel der Beschluss zur ganz oder teilweisen Schließung von fast 100 katholischen Kirchen an Rhein und Ruhr.
„Damals war für viele Gemeindemitglieder die Neugestaltung als Kolumbarium eine Lieblingsidee, ja ein Reflex“, sagt Fendrich. Doch das Modell müsse kritisch gesehen werden: „Man darf die Frage der Wirtschaftlichkeit nicht unterschätzen. Der Unterhalt einer mittelgroßen Kirche verursacht schnell sechsstellige Eurosummen für laufende Kosten, Instandhaltung und Rücklagen. Dazu kommt natürlich die Investition in ein mögliches Kolumbarium. 60, besser 80 Urnenbeisetzungen sind wirtschaftlich meiner Meinung nach das Mindeste.“ Denn die Kosten für die betroffene Pfarre liefen weiter, auch wenn die Nachfrage ausbleibe, so Fendrich: „Aufgrund der Bindungsfristen bleiben die Urnen 15, 20 oder 25 Jahre der Kirche. Einfach schließen kann man dann nicht.“
Nachtrag Herbst 2015: Nach Plänen des Hamburger Architekten Andreas Rowold wird derzeit die Umgestaltung von Kirchenraum und Innenhof diskutiert und schrittweise umgesetzt. Mit dem Umbau
von St. Thomas Morus soll ab Oktober begonnen werden. In einer ersten Ausbaustufe sollen ab Frühjahr 2016 rund 500 von insgesamt 1500 bis 1700 Urnengräbern eröffnet werden. Im Innenraum liegen
die Urnengräber in gut einem Meter hohen Kuben, die seitlich und hinten im Kirchenschiff angeordnet werden. Zentral stehen Bänke für rund 100 Gläubige. Im Innenhof der Kirche entstehen
Grabstätten im "Paradiesgarten".