"Ich bin ein Klangmensch" – die Hamburger Bogenmacherin Ina Keller

Bogenmacherin Ina Keller an ihrer Werkbank. Foto: Christoph Schumann
Bogenmacherin Ina Keller an ihrer Werkbank. Foto: Christoph Schumann

Hamburg. Sanft streicht Ina Keller den Bogen über die Saiten ihrer Geige. Fühlt, ob das Holz elastisch und die Haare richtig gespannt sind. Dann lauscht die 52-jährige lang jedem einzelnen Tons nach, der ihre kleine Ladenwerkstatt in Hamburg-Eimsbüttel füllt. „Der Klang muss warm und farbenreich sein“, sagt die Handwerkerin, die seit gut zwanzig Jahren ihr einstiges Hobby zum Beruf gemacht hat: Die studierte Musikerin gehört zu der nur guten Handvoll Spezialisten hierzulande, die die Kunst der Anfertigung historischer Bögen beherrschen. Denn in der Barockzeit und davor klangen Instrumente weicher, ja milder, als Musiker und Musikfreunde es seit der Klassik ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts gewohnt sind. „Die Töne einer Geige klangen beispielsweise zur Zeit Johann Sebastian Bachs weicher, nicht so scharf wie heute“, weiß die ausgebildete Geigerin und Bratschistin, die ihre Leidenschaft für Alte Musik Anfang der 1990er Jahre beim Studium der Barockgeige in den Niederlanden entdeckte.

„Damals vor gut 25 Jahren begann die Neuentdeckung der Alten Musik – mit Holland und Belgien als einem der Zentren“, erinnert sich Ina Keller. „Und mit dem Interesse an den Werken von Bach, Händel, Telemann, Vivaldi oder Monteverdi wuchs auch die Neugier, diese lang vergessene Musik auf zeitgenössischen Instrumenten wieder möglichst originalgetreu erklingen zu lassen.“ Doch während andere ihre Leidenschaft auf die Klangkörper konzentrierten, entdeckte die viele Jahre als freiberufliche Musikerin arbeitende Keller ihr Faible für historische Bögen. „Ich habe schon als Kind gern mit Holz gewerkelt, darum hatte ich eine wachsende Freude an der Arbeit mit den Naturmaterialien, die im Bogenbau verwendet werden. Den Haag bzw. Amsterdam, wo ich damals lebte, war dafür der ideale Ort – die Holländer haben weniger scheu als Deutsche, andere, unbekannte Dinge zu tun und auszuprobieren.“

 

So begann Ina Keller zunächst, zuhause in einer Wohnzimmerecke eine provisorische Werkstatt einzurichten. Zum Improvisieren mit dem Material kam die Suche nach historischen Anknüpfungspunkten. Doch diese gestaltet sich bis heute schwierig, so die Expertin: „Leider sind kaum eindeutige Vorlagen wie etwas Zeichnungen von Bögen aus dem 16. oder 17. Jahrhundert erhalten geblieben“, weiß Keller, „und auch Sammlungen wie das Berliner Musikinstrumenten-Museum besitzen kaum Originale.“ Diese altern traditionell viel schneller als Instrumente, können nach einigen Jahrzehnten brechen und werden dann ersetzt. „Da sind Bögen anders als Geigen, die mit zunehmendem Alter immer besser und wertvoller werden – nicht nur eine Stradivari“, lacht Keller, die heute selbst nur noch selten und projektbezogen in kleinen Orchestern spielt. Dafür steht die begeisterte Handwerkerin fast täglich an ihrer Werkbank. Im Unterschied zu modernen Bögen sind die von Keller gebauten historischen Bögen anders geformt: „Sie biegen sich zu den Haaren, heutige Modelle sind fast gerade“, sagt die Expertin. Zudem sei das verwendete Holz elastischer. Jeder Bogen besteht im Grunde nur aus drei Elementen: dem Hartholzstab, etwa 100 Rosshaaren sowie dem sogenannten Frosch, der die Haare spannt. Im Original ebenfalls nur aus Holz gefertigt und gesteckt, ab etwa 1750 mit einem Schraubmechanismus versehen, der das schnelle Spannen erleichtert. „Ich liebe aber den klassischen Steckfrosch“, gesteht Ina Keller. „Sein Klang ist noch weicher und runder als beim Spannen der Haare mit einer Schraubkonstruktion.“

Die meisten Bögen fertigt Keller aus Schlangenholz. Das tropische Holz stammt aus Südamerika aus nachhaltigem Anbau und ist feinporig, sehr dicht und hart – so hart, dass es im Wasser sinkt – und wurde bereits im 17. Jahrhundert im Bogenbau benutzt. „Für barocke Modelle eignet es sich perfekt, weil es genau die richtige Elastizität besitzt“, erklärt Keller, da der barocke Klang ein leichtes, federndes Spiel voraussetze. Dazu sägt sie zunächst ein schmales Stück Holz aus einer Platte: „Ich muss jedes Holz erst kennenlernen“, beschreibt Keller, die in jüngster Zeit auch mit heimischen Arten wie Pflaume oder Hainbuche experimentiert, ihre Annäherung. In hunderten Arbeitsschritten hobelt die Kunsthandwerkerin, die keine Drechselbank besitzt, daraus einen Geigenbogen, der zuletzt mehrfach geölt wird. Dessen breiteste Stelle misst am Ende des Entstehungsprozesses am Handstück etwa acht und an der Spitze nur fünf Millimeter. Bei einer durchschnittlichen Länge von 70 Zentimetern wiegt jedes Unikat rund 50 Gramm. Andere Bögen wie Bratschenbögen sind mit 60 Gramm etwas schwerer. Etwa zwanzig bis dreißig Arbeitsstunden kommen so pro Bogen zusammen. Alljährlich entstehen so zwanzig bis fünfundzwanzig der seltenen, aber begehrten Stücke: Zu den Profis, die mit Kellers handgemachten Bögen spielen, gehören Musiker des NDR Elbphilharmonie Orchesters, der Bremer Philharmoniker, der Deutschen Oper am Rhein aus Düsseldorf oder des Freiburger Barockorchesters. Die meisten ihrer Kunden und Kundinnen kommen aus Deutschland und Österreich.

 

Erste Klangprobe: Ina Keller prüft Klang eines neuen Bogens an ihrer eigenen Geige. Foto: Christoph Schumann
Erste Klangprobe: Ina Keller prüft Klang eines neuen Bogens an ihrer eigenen Geige. Foto: Christoph Schumann

Insgesamt hat Ina Keller in den gut zwanzig Jahren ihres Berufslebens 440 Bögen gefertigt. Jedes einzelne Exemplar hat sie genau dokumentiert, um im Notfall bei Reparatur oder Verlust schnell helfen zu können. „Jeder Bogen ist einzigartig“, so Keller, „und erst die Kombination von Geige und Bogen macht die Partnerschaft aus: Ein guter Bogen macht aus einer schlechten Geige keine gute – und umgekehrt.“ Genau deshalb will Keller auch in Zukunft ihre exakten, liebevollen Arbeitsweise pflegen. Maschinen wird es im Atelier der Bogenmacherin nicht geben. „Mit meiner langsamen Art zu arbeiten werde ich wohl nie reich“, lacht Keller, „aber Material, Geruch und Form – das ist einfach meine Leidenschaft. Mein Beruf war ursprünglich die Musik. Aber meine Berufung ist das Bogenmachen.“