REPORTAGE
Greifswald (cs). Wer mit der Regionalbahn von Stralsund aus kommend nach Greifswald fährt, erkennt selbst bei grauem Frühwinterwetter schon von Weitem die Türme der zahlreichen Kirchen – allen voran die mächtigen Spitzen von St. Jacobi und dem Dom St. Nikolai. Reisende werfen damit fast den gleichen Blick auf die Hansestadt wie ihr wohl größter Sohn: „Caspar David Friedrich malte als einziger überhaupt Greifswald mit Wall, Stadttoren und Kirchen von den damals noch sehr moorigen Wiesen im Westen aus“, sagt Julia Kruse. „Allerdings hob der Romantiker die Kirchtürme höher in den Himmel als sie tatsächlich waren – Friedrichs Werke sind nie realistische Abbilder der Welt“, so die Expertin vom Pommerschen Landesmuseum in Greifswald weiter, mit der ich kurz nach meiner Ankunft verabredet bin.
Abschluss des Jubiläumsjahres: 250. Geburtstag von Caspar David Friedrich
Zum Abschluss des großen Friedrich-Jahres rund um seinen 250. Geburtstag im September 1774 widmet sich das Museum mit einer der letzten Sonderausstellungen – darunter die Highlights in Hamburg, Berlin und Dresden – im Jubiläumsjahr in den kommenden Wochen um Caspar Davids engen Bezug zu seiner „Heimatstadt – Wiesen bei Greifswald & Greifswalder Hafen“. Denn der unvergessene Künstler, der ersten Zeichenunterricht schon ab 1790 in Greifswald erhielt, blieb trotz seiner langen Aufenthalte an der Amademie in Kopenhagen ab 1794 und seiner anschließenden Übersiedlung in die Kunstmetropole Dresden 1798 zeitlebens mit der Stadt am Bodden verbunden. Nicht nur wegen seiner engen Bindung an Eltern und Geschwister. Sondern auch wegen seiner Liebe zu Landschaft, Küste und Meer, deren Motive Friedrich bei mehreren ausgedehnten Reisen nach Vorpommern immer neu erkundete. Zwei der zentralen Zeugnisse dafür sind die Gemälde „Wiesen bei Greifswald“ (1820/21) und „Greifswalder Hafen“ (1818-20) – beide stehen als Leihgaben der Hamburger Kunsthalle bzw. der Alten Nationalgalerie Berlin jetzt im Mittelpunkt der kleinen, aber feinen Schau in der Universitätsstadt.
CDF schenkte viele Gemälde seiner Familie
Dazu sind alle sechs Gemälde von Caspar David Friedrich zu sehen, die zur eigenen Sammlung des Landesmuseums gehören sowie herausragende Leihgaben wie das Aquarell „Greifswalder Marktplatz mit der Familie Friedrich“ – das geliebte Familienmitglieder wie seine Brüder oder Eltern in den Mittelpunkt rückt. „Tatsächlich schenkte Friedrich viele seiner Arbeiten seiner Familie, die sie über Jahrzehnte behielt und hütete, ehe sie auf den Kunstmarkt kamen“, so Julia Krause. Statt auf Masse und Bilderflut setzt die Greifswalder Sonderschau auf Tiefgang: „Bei uns können Besucher auf eine ungewöhnliche Spurensuche zu Orten oder Gebäuden in und um Greifswald gehen – und damit die vielen Facetten von ›Heimat‹ in Friedrichs Leben und Werk entdecken“, ergänzt Museumsdirektorin Ruth Slenczka. Und man wird angeregt, auch über das eigene, oft problematische Verhältnis zur Heimat nachzudenken.
Ólafur Elíasson: Glaskunst im Greifswalder Dom St. Nikolai
Nur wenige Schritte sind es vom Landesmuseum bis zum mächtigen Dom St. Nikolai. Als Taufkirche von Caspar David Friedrich hat das Gotteshaus unweit seines Elternhauses in der Langen Straße, das
heute das Caspar-David-Friedrich-Zentrum beherbergt, wie viele Winkel der historischen Alstadt einen engen Bezug zum großen Sohn der Stadt. Ein Besuch der Kirche lohnt vor allem wegen eines erst
in diesem Jahr eingeweihten Kunstwerks: Hinter dem Chorraum bringen am Ostgiebel des 800-jährigen Bauwerks spektakulär-schöne Fenster das Kircheninntere zum Leuchten. Geschichte und Geist der
Romantik, in deren Stil der Dom im frühen 19. Jahrhundert umgestaltet wurde, sind so einmalig in Norddeutschland – und eng mit der Kunst- und Architekturauffassung Caspar David Friedrichs
verbunden, für den die lichtdurchflutete, schlichte Klarheit des Kirchenraums wichtig war. Schon damals wurden farbige Kirchenfenster geplant. Realisiert wurden sie aber erst jetzt: Inspiriert
von den Lichtspektren der Gemälde Friedrichs hat der in Berlin lebende dänisch-isländische Licht- und Farbenkünstler Ólafur Elíasson neue Ostfenster entworfen, die alllein schon die Reise nach
Greifswald lohnen. Der chromatische Verlauf des im Bayrischen Wald gefertigten Glases ist angelehnt an die Farbpalette in Friedrichs Ölgemälde „Huttens Grab“ von 1823/24, das eine Kirchenruine im
Dämmerschein der aufgehenden Sonne zeigt: von purpurrot über orange und gelb bis zu himmelblau reicht die sanfte Farbpalette. Weil St. Nikolai in Ost-West-Richtung liegt, werden die neuen Fenster
auch bei gutem Wetter nur am frühen Morgen von direktem Tageslicht gestreift. Um ihre geometrischen Muster dennoch ganztägig zum Strahlen zu bringen, wählte Elíasson für seine Arbeit einen
technischen Kniff: Ein sogenannter Heliostat im Außenraum lenkt das Sonnenlicht bis in den späten Nachmittag um, sodass selbst nun im Winter selbst am späten Nachmittag die ganze Leuchtkraft der
bunten Glasfenster ebenso kraftvoll wie vielschichtig zur Geltung kommt.
Reiseinformation Greifswald
Die aktuelle Sonderausstellung „Caspar David Friedrich. Heimatstadt – Wiesen bei Greifswald & Greifswalder Hafen“ ist noch bis einschließlich 5.1.2025 zu sehen. Pommersches Landesmuseum, Rakower Str. 9, 17489 Greifswald, Di-So 10–18 Uhr, Erwachsene 10 Euro, ermäßigt 8 Euro, www.pommersches-landesmuseum.de und www.pommersches-landesmuseum.de/friedrich2024
Vom 14. Februar bis 2. März 2025 bringt dann noch die Light Art Collection Amsterdam Greifswald mit einem Caspar David Friedrich gewidmeten Lichtkunstfestival zum Leuchten: Rund um Wallanlagen und Museumshafen laden acht Kunstwerke zum Staunen ein, die als Zitate aus dem Werk Friedriechs verstanden werden können.
Ganzjährig, vor allem aber von Frühjahr bis Herbst lohnend ist ein Spaziergang auf „Friedrichs Bilderweg“. Der Rundweg führt auf den Spuren des Malers zu wichtigen Stationen seines Lebens und Wirkens durch und um Greifswald. Mit der in den einschlägigen Appstores erhältlichen App „CaspAR“ kann man den Bildweg interaktiv ergänzen. www.caspar-david-friedrich-greifswald.de
Ein adventlicher Höhepunkt ist auch Greifswalds Weihnachtsmarkt, der bis 21. Dezember täglich auf dem historischen Marktplatz sowie dem Fischmarkt im Herzen der Stadt stattfindet.
Greifswald-Information, Rathaus am Markt, 17489 Greifswald, Tel. 03834/855241, www.greifswald.info
Stand meiner Recherche: November 2024. Copyright Text und Fotos: Christoph Schumann, Hamburg