Hamburg. Von seinem Büro im gründerzeitlichen Backsteinbau hathat Dr. Thomas Bruns einen weiten Blick auf den Hamburger Hafen. An den Kais auf der anderen Elbseite werden Containerschiffe be- und entladen. Im Dock von Blohm+Voss gegenüber wird ein Kreuzfahrtschiff gewartet. Gleich unterhalb des Fensters legen an den Landungsbrücken Fähren an und ab. Und weiter links erstrahlt die kürzlich eingeweihte Elbphilharmonie im Schein der Mittagssonne über der Hafencity. Nur kleine Schäfchenwolken zeigen sich an diesem Januartag am blauen Himmel.
Bruns’ Weitblick wirkt fast symbolisch – immerhin muss der promovierte Meteorologe als Leiter der Niederlassung des Deutschen Wetterdienstes (DWD) mit rund 100 MitarbeiterInnen am Standort in Hamburg-St. Pauli nichts weniger als das Wetter für Norddeutschland im Auge haben. Eine detailreiche Aufgabe, die heute weitaus präziser gelingt als vor gut dreißig Jahren, als der Hamburger seine Karriere im Seewetteramt in der Bernhard-Nocht-Straße begann. „Unsere Wettervorhersage für die kommenden fünf Tage ist heute so zuverlässig wie damals für drei Tage “, sagt Thomas Bruns. „Grund dafür sind die rasante Entwicklung der Computertechnologie und die ständige Verbesserung der mathematisch-physikalischen Modellrechnungen.“ Wesentliche Grundlage der Vorhersagen ist dabei ein weltweites Beobachtungsnetz aus automatischen und bemannten Bodenstationen, Wetterballonen, Wettermeldungen von Handelschiffen und Flugzeugen, das durch eine Vielzahl satellitengestützter Messungen immer präziser wurde.
Millionen Daten, ein Wetterbericht
Aus diesen Millionen Einzeldaten errechnet der moderne Supercomputer des DWD – dessen Rechenleistung so groß ist wie die von etwa 30.000 normalen PCs – in der Zentrale des DWD in Offenbach am Main ständig neue lokale, regionale und globale Vorhersagen. In der Regional- und Seewetterzentrale im Stockwerk über Bruns’ Büro überwacht ein Team von MeteorologInnen rund um die Uhr das Wetter und gibt im Notfall rechtzeitig Warnungen vor Gewittern, Windböen, Straßenglätte und allen anderen Wettergefahren für Binnenland und Küsten zwischen Flensburg und Elbe heraus. Hinzu kommend die Vorhersagen und Warnungen des Seewetterdienstes vor Starkwind, Stürmen oder Orkanen auf Nord- und Ostsee.
Inzwischen erlauben die modernen Wettervorhersageverfahren auch Aussagen über die Unsicherheiten der Vorhersage, deren Ursache in den unvermeidbaren Beobachtungslücken und Grenzen der Messbarkeit zu finden sind. „Verlässlich lässt sich das Wetter nur für eine knappe Woche voraussagen. Danach bewegen sich die Vorhersagen in einer immer größer werdenden Bandbreite – bis nach etwa 14 Tagen die Unsicherheit so stark ist, dass die Vorhersagen kaum noch Nutzen haben“, sagt Wetterprofi Bruns. Wie der letzten Winterwochen oder gar der kommende Frühling und Sommer in Niedersachsen werden, wissen also auch die Wettermacher in Hamburg nicht. Erstellt werden die Wettervorhersagen und Warnungen beispielsweise für Gemeinden, Bundes- und Landesbehörden, für den Katastrophenschutz oder Feuerwehren vor Ort sowie für die Medien und die Öffentlichkeit – den allabendlichen Wetterbericht am Ende der „Tagesschau“ um 20.15 Uhr erstellt die DWD-Zentrale in Offenbach.
Wetter für Industrie und Schifffahrt
Als Leiter des Referates Seeschifffahrtsberatung registriert Thomas Bruns in den letzten Jahren eine zunehmende Nachfrage nach Seewetterinformation seitens der Offshore-Industrie. Wie auf Land benötigen die Betreiber von Windkraftanlagen sowohl klimatologische Daten für die Wahl neuer Standorte und später dann Wettervorhersagen bei Bau- und Wartungsarbeiten: „Wer einen neuen Offshore-Windpark etwa in der Nordsee errichtet, muss wissen, wann Wellen und Wind auf dem Meer das gefahrlose Arbeiten erlauben.“
Auch die deutsche Handelsflotte berät das Seewetteramt. Die Frachtschiffe erhalten auf Wunsch unter anderem genaue Wettervorhersagen sowie eine Routenberatung, um sicher und wirtschaftlich an ihr Ziel zu kommen. Sogar Laderaum-Meteorologie bieten die Spezialisten: Diese umfasst sensible Felder wie die Lüftungsberatung im Vorfeld und während der Reise, damit der globale Transport empfindlicher Güter wie Kakao, Medikamente, Obst oder Stahl möglichst verlustfrei erfolgt. Immerhin entstehen Jahr für Jahr an Bord Millionenschäden durch Verrottung pflanzlicher Waren oder Rost an Metall.
Historische Daten zur Klimarettung
Lydia Gates leitet im Seewetteramt die Maritime Klimaüberwachung und bestreitet damit den maritimen Anteil der Klimaforschung im DWD. Die MitarbeiterInnen der ebenfalls promovierten Meteorologin sammeln die täglich eintreffenden Daten von Handelsschiffen und unzähligen Bojenmessungen weltweit und prüfen deren Qualität. Nur durch die sorgfältige Datenauswahl lassen sich Aussagen über den Zustand und Wandel des Klimas ableiten. In die Klimaforschung fließen zudem historische Daten ein, die das DWD besonders hegt: Das Seewetteramt besitzt eines der größten maritim-meteorologischen Archive der Welt. Weit mehr als 20 Millionen Wetterbeobachtungen aus mehr als 37.000 Journalen deutscher Schiffe, die Kapitäne zwischen 1829 und 1934 festhielten, lagern in großen Schränken. Darunter, als älteste erhaltene Aufzeichnungen, Angaben über Regen, Stürme oder Flauten vom Segler „Henriette“ aus dem Jahr 1829. Alle Daten werden nach und nach elektronisch erfasst und stehen nach ihrer Digitalisierung Klimaforschern und Wetterdiensten zur Verfügung. Laufend kommen neue Daten hinzu: Der Meteorologische Hafendienst des Seewetteramtes betreut dazu 100 Handelsschiffe, die alljährlich geschätzte 250.000 Wettermeldungen auf den Meeren sammeln.
Die Klimaforschung des DWD ging unter anderem ein in den jüngsten Bericht des zuständigen Bundesministeriums für Verkehr (BMVI) zu den „Auswirkungen auf den Klimawandel auf Wasserstraßen und Schifffahrt in Deutschland“ (KLIWAS). Dieser sieht etwa für den Raum an der Elbe im Zeitraum von 2021 bis 2050 einen durchschnittlichen Temperaturanstieg von einem bis zwei Grad Celsius voraus. Für die Jahre von 2071 bis 2100 liegt der Wert sogar bei plus 2,5 Grad bis vier Grad Celsius. „Für die zweite Hälfte des Jahrhunderts erwarten wir hier in der Region darüber hinaus im Sommer weniger, im Winter aber mehr Niederschläge“, sagt Lydia Gates. Zur Berechnung von Klima und Klimawandel setze man zwar das selbe Wettermodell ein wie bei der täglichen Vorhersage, ziehe aber zusätzlich weitaus mehr ältere Daten ein und erhöhe die statistische Ungenauigkeit, so die Leiterin des Referats für Maritime Klimaüberwachung. So lasse sich auch die zunehmende Häufigkeit von starken Niederschlägen und Sturmfluten erkennen sowie berechnen, wie sich Hoch- und Niedrigwässer in der nahen und ferneren Zukunft verstärkten.
Hintergrund
Deutscher Wetterdienst (DWD) und Seewetteramt gehen auf die 1868 in Hamburg gegründete Norddeutsche Seewarte zurück, die der Geophysiker und Polarforscher Georg von Neumayer ins Leben rief. 2018 feiert das Seewetteramt sein 150-jähriges Jubiläum. Zur Sicherung der Flotte im jungen Deutschen Reich wurde daraus 1875 die Deutsche Seewarte. Neumayer leitet das Haus von 1876 bis 1903. Ab 1881 am Hamburger Stintfang zuhause, zog das Institut 1947 als Meteorologisches Amt für Nordwestdeutschland an seinen jetzigen Standort in der einstigen Navigationsschule im Herzen des Stadtteils St. Pauli in einem Gründerzeitgebäude von 1905. Der DWD entstand 1952 per Gesetz zur Einrichtung von Wetterämtern in den Bundesländern. Der norddeutsche Standort behielt – auch nach einer Neustrukturierung 1996 – den Titel Seewetteramt. Zuständig für den DWD mit heute rund 2300 MitarbeiterInnen ist das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Rund 100 davon sind am Standort in Hamburg tätig. Hauptsitz des DWD ist Offenbach. Alljährlich erstellt der DWD rund 90.000 Wettervorhersagen, etwa 30.000 regionale oder lokale Wetterwarnungen und etwa 300 Millionen Klimadaten insgesamt.
Wettervorhersagen, Wetterradar und andere aktuelle Daten auf www.dwd.de.