Deutschland von A wie Albersdorf bis Z wie Zarpen – der dänische Journalist Carsten Grubach entdeckt kleine Orte

Entdeckungen am Wegesrand: eine Büchertauschbox im schleswig-holsteinischen Albersdorf. Foto: Carsten Grubach/privat
Entdeckungen am Wegesrand: eine Büchertauschbox im schleswig-holsteinischen Albersdorf. Foto: Carsten Grubach/privat

REPORTAGE von Christoph Schumann

 

Kolding/Hamburg (cs). Irgendwann musste es einfach sein. Einige Jahre schwirrte Carsten Grubach die Idee bereits im Kopf herum. Sogar erste Vorplanungen hatte der dänische Autor schon gemacht – als die Coronapandemie die Reisewege des Endsechzigers kreuzte und das Datum hinausschob. „Im vorletzten Jahr war es dann endlich soweit“, erzählt Carsten Grubach im Gespräch mit unserer Zeitung. „Da bin ich los“, so der Journalist aus Kolding in Südjütland. Das Projekt des Globetrotters: Einmal Deutschland von A bis Z bereisen. Am besten in alphabetischer Reihenfolge und am Stück. Das hieß konkret: von Albersdorf bis Zarpen.

„Dass Anfang und Ende meiner Entdeckungsreise in Schleswig-Holstein liegen, ist deshalb natürlich kein Zufall“, sagt Carsten Grubach. Schließlich wollte der vielbeschäftigte Autor schon unmittelbar hinter – und auf dem Heimweg noch vor – der deutsch-dänischen Grenze Neues erleben. Und manchmal auch alte Verbindungen wiederfinden: „25167 ist nicht die Einwohner- von Albersdorf, sondern die Postleitzahl von Albersdorf. Der Ort im Westen der Marsch hat nämlich nur 3774 Bewohner. (…) Und im einst zu Dänemark gehörenden Dithmarschen kann man von einem 21 Meter hohen Aussichtsturm weit blicken.“ Dazu erkundet Grubach noch voller Neugier die kleine Büchertauschbox am Bahnhof, die nicht nur Zugreisenden „Vitamine fürs Gehirn“ bietet. Es sind solche kleinen Unterschiede, die dem Journalisten besonders auffallen – denn Büchertauschhäuser dieser Art gibt es im kleinen Königreich nicht.

 

Schauen, sammeln und schreiben

Zur Fortbewegung wählte der Familienvater übrigens nicht die Schiene. „Geschuldet ist dies meinem Plan, kleinere, verhältnismäßig unbekannte deutsche Städte zu finden“, skizziert Grubach. Diese sollten eher an der Peripherie der Bundesländer liegen als im Zentrum. Ein Grund dafür, dass der Däne die drei Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen bewusst ausließ. Dazu wollte Grubach die an einem Silvesterabend vor fünf Jahren auf der Landkarte ausgewählten Orte möglichst unvoreingenommen ansteuern. „Vor Ort vielleicht ein wenig googeln, mehr aber nicht“, so Grubach. „Das war keineswegs Faulheit. Aber ich wollte mich nicht vorbereiten, um ohne Voraussetzungen anzukommen, zu schauen und dann zu schreiben.“ Grubachs Vorbild waren dabei die berühmten dänischen Dogma-Regisseure der 1990er Jahre um Thomas Vinterberg und Lars von Trier. Auch sie arbeiteten vor Ort mit Ton und Kamera „on location“, frei und assoziativ ohne streng festgelegtes Drehbuch. „Meist hat man als Reisejournalist aber einen festen Ablauf randvoll mit Terminen“, weiß Carsten Grubach. „Ich wollte aber möglichst frei sein.“

Der dänische Journalist und Buchautor Carsten Grubach. Foto: Grubach/privat
Der dänische Journalist und Buchautor Carsten Grubach. Foto: Grubach/privat

Am Ende fuhr und schlenderte Grubach rund einen Monat durch deutsche Kleinstädte. Fand Kuhversteigerungen im niedersächsischen Cloppenburg. Staunte über Europas größte Kanalkreuz in Datteln in Nordrhein-Westfalen. Probierte das Quellwasser in Gerolstein in der Eifel. Staunte über das Römerlager in Xanten am Rhein unweit der Niederlande. Und strandete an einem kalten Frühjahrstag im baden-württembergischen Yach bei Freiburg, um festzustellen, dass sowohl das Gasthaus Adler wie das Gasthaus Sonne gleichzeitig „Ruhetag“ haben und nicht auf nordische Gäste warteten. Dafür traf der Däne in Freudenberg im Siegerland einen japanischen Blogger, der die zahlreichen idyllischen Fachwerkhäuser fleißig für seine Landsleute auf Instagram posteste. „Das wollte ich aber nicht“, unterstreicht Grubach, „also quasi live von unterwegs bloggen und streamen. Da bin ich konservativ, ich bleibe beim Schreiben und Fotografieren.“ Stattdessen erschienen die Reportagen als Serie von insgesamt sieben Artikeln im letzten Sommer in den fünfzehn Tageszeitungen des dänischen Verlags JyskFynske Medier, darunter so große Regionalblätter wie JyskeVestkysten in Jütland oder Fyens Stiftstidende auf Fünen. Rund 600.000 dänische Leser erfuhren so in Print- wie Onlineform Spannendes aus ihnen unbekannten Provinzen und (Klein-)Städten des südlichen Nachbarn.

 

Überraschende Unterschiede zwischen West und Ost kennengelernt

„Auch in den vergangenen drei Jahrzehnten war ich immer wieder überall in Deutschland unterwegs“, erinnert sich Grubach. „Und trotzdem habe ich auch jetzt noch viel Überraschendes kennengelernt.“ Das gelte nicht nur, aber vor allem auch für die neuen Bundesländer, so der nordische Experte. „Dass beispielsweise das brandenburgische Rathenow das große Zentrum für Optik in der DDR war, wusste ich nicht“, so Grubach. Und auch Angela Merkels enge Verbindung zum ebenfalls in Brandenburg liegenden Templin ging dem Journalisten erst beim Ortsbesuch auf. Überhaupt fiel Carsten Grubach erst durch den Besuch aller Bundesländer auf, wie groß nach wie vor die Ungleichheiten zwischen West- und Ostdeutschland sind. Das sächsische Pirna an der Elbe bei Dresden zeige sich zwar renoviert voll historischer städtebaulicher Schönheit. „Doch dass der Abstand zwischen den Menschen und der Politik in den fünf neuen Ländern größer zu sein scheint als im Westen, fiel mir nicht nur in Pirna auf“, unterstreicht der Jüte, der fließend Deutsch spricht und neben seiner journalistischen Tätigkeit auch mehrmals im Jahr als Leiter von Studienreisen für dänische Anbieter zwischen Flensburger Förde und Bodensee unterwegs ist.

Das Team vom Kleindermarkt in Zarpen. Foto: Carsten Grubach/privat
Das Team vom Kleindermarkt in Zarpen. Foto: Carsten Grubach/privat

Die Sorgen der Menschen nicht ignorieren

„Besonders die mentalen Unterschiede und die Einstellung zur Politik wirken groß, finde ich“, so Grubach weiter. „Das hat immer noch mit der Geschichte und Kultur zu tun, zugleich aber auch mit mentalen, oft auch nur regionalen Einstellungen zu Gesellschaft, Institutionen oder Wirtschaft.“ Manche Begegnungen hätten ihm die Augen geöffnet für die Probleme, die Deutschland anders als Dänemark umtreiben. „Insofern habe ich richtig viel gelernt, muss ich sagen. Und dennoch glaube ich, dass es in Deutschland gar nicht die Lethargie gibt, von der so viele sprechen“, fasst Carsten Grubach seine Eindrücke zusammen. „Veränderungen sind immer schwer, ob politisch oder wirtschaftlich. Da braucht es einfach Zeit. Oder vielleicht auch mehr Zeit.“

 

„Blicke optimistisch auf Deutschland“

Seiner Meinung nach seien es fast überall die kleinen Initiativen die den lokalen Zusammenhalt stärkten. Und damit letztlich das große Ganze. So wie in Zarpen bei Lübeck, der letzten Station von sechsundzwanzig seiner Reise. „Zunächst wirkte es, als wäre an dem verschlafenen Sonntag im September, als ich durch Storman kam, gar nichts los“, weiß Carsten Grubach noch wie heute. „Dann aber sah ich zufällig das Schild ›Kleidermarkt‹ und dachte, da muss ich hin.“ Und so kam der Däne auf dem Flohmarkt zwischen Schule und Boulebahn ins Gespräch mit engagierten Freiwilligen, die ihren freien Sonntag der guten Sache opfern: Denn ein Teil der Einnahmen fließt in Aktivitäten der Bildungseinrichtung und kommt so dem Dorf – das wie Albersdorf im 15. Jahrhundert unter König Christian 1. dänisch war – direkt zugute. „Das macht Mut und lässt mich optimistisch auf Deutschland sehen“, so Grubachs Fazit.

 

Stand meiner Reportage: Januar/Februar 2025.