PORTRÄT Loose/Eckernförde (cs). Manchmal muss Heiko Mielke richtig schnell sein. Wenn ihn während einer Vorstellung die Zuschauer in freudig-befreiter Stimmung immer enger umringen, ja fast einzukesseln drohen, hilft ab und an nur der Sprung auf ein improvisiertes Podium in der Nähe. So wie vor einigen Jahren in einem Flüchtlingslager in Syrien: „Damals wurden wir von begeisterten Kindern derart gefeiert, dass nur ein beherzter Sprung auf einen Container das Weiterspielen möglich gemacht hat – schon hatten wir eine kleine Bühne, auf der uns alle sehen und hören konnten“, erinnert sich der 64-Jährige an einen seiner zahlreichen Auftritte in aller Welt.
In Lübeck geboren, in Itzehoe aufgewachsen
Der in Lübeck geborene und in Itzehoe aufgewachsene Kleinkünstler tritt nicht nur auf auf Bühnen und Veranstaltungen seines Heimat(bundes)landes auf, wo der gelernte Erzieher sein meist junges Publikum als Kapitän Flunker mit Humor und komödiantischen Einlagen, Jonglieren und Zaubertricks in Atem hält. Oder mit seinem Piratentrio „Klar zum Entern“ gleich in Mannschaftsstärke gute Laune verbreitet. Heiko Mielke war auch schon in Indien, Sri Lanka, Kashmir, Peru, Syrien, Albanien, Kambodscha, der Türkei, Rumänien und anderen Ländern als Clown im Einatz – und zwar als „Clown ohne Grenzen“. Der Verein – den Mielke 2007 zusammen mit fünf Gleichgesinnten nach Vorbild der internationalen „Clowns without Borders“ hierzulande mitgegründet hat –, setzt sich das Ziel, Freude und Lachen in die Krisengebiete dieser Welt zu bringen. Und dort Kindern, aber auch ihren Eltern und anderen Erwachsenen, wenigstens für einige Minuten oder Stunden etwas Abwechslung vom schwierigen Alltag zu bieten. Die Zuschauer der Clowns ohne Grenzen können vor einem Krieg geflohen sein. Oder aber notgedrungen von einer Natur- oder Klimakatastrophe betroffen aus ihren Heimatregionen und -orten weggezogen sein. Nicht wenige mussten auch aufgrund der humitären Lage, aus Armut oder religiöser Ausgrenzung flüchten. Die Clowns ohne Grenzen selbst sprechen darum ungern von Krisengebieten, denn die Menschen vor Ort nähmen ihre Situation meist ganz anders wahr.
Besonders wichtig: genaue Reiseplanung im Vorfeld
Heiko Mielkes Shows finden in Flüchtlingslagern der UN oder in Camps und Kinderheimen von Vereinen oder Nichtregierungsorganisationen (NGOs) statt, mit denen der rund 250 Mitglieder starke eingetragene Verein der Clowns ohne Grenzen einen engen Kontakt hat. Die Verbindung muss schon im Vorfeld eng sein, denn während die Shows in der Regel fünfundvierzig Minuten bis eine Stunde dauern, benötig jede Reise eine durchschnittliche Vorbereitung von einem Jahr. „Wenn wir nach Afghanistan, Syrien, in die Slums von Mumbai oder an einen anderen Ort mit Problemen reisen, muss im Vorfeld möglichst alles gut geplant sein, damit Schwierigkeiten möglichst ausgeschlossen sind“, sagt Heiko Mielke im Gespräch. „Improvisieren müssen wir am Ziel dann immer noch genug.“ Zwei bis vier Clowns gehen immer auf eine Reise. Hinzu kommen Logistiker mit Sinn fürs Praktische. Immer stehen ein weiblicher und ein männlicher Clown gemeinsam auf den Bühnen in aller Welt: „So ist die Mischung universeller. Es fühlen sich Mädchen und Jungen schneller angesprochen“, weiß Mielke. Und das gilt auch für erwachsene Zuschauer: Denn zwar spielen die Clowns ohne Grenzen für Kinder – doch mangels Abwechslung kommen fast immer auch Erwachsene, seien es Eltern oder Großeltern mit. Wenn die Großen dann am Ende ebenso lachen wie die Kleinen, ist dies für die Clowns nicht selten mehr Glückserfahrung als „nur“ das Kinderlachen: „Es kommt nämlich gar nicht selten vor, dass dies das erste Mal überhaupt ist, dass Kinder ihre eigenen Eltern lachen sehen“, hat Mielke bereits mehrfach erlebt.
Spaß und Heiterkeit funktionieren auch über Sprachgrenzen hinweg
Spaß und Witz funktionieren dabei nicht auf Sprachebene – da gibt es allenfalls einmal ein „Hallo“ in der Landessprache, sondern non-verbal. „Akrobatik, Jonglage und kleine Kunststücke funktionieren meist immer“, weiß der Norddeutsche. „Genauso wie Slapstick, Schadenfreude und Musik zum Mitsingen und Mitklatschen“, so Mielke, der selbst als Straßenmusiker und -künstler angefangen hat und Instrumente wie Percussion, Akkordeon, Tuba und Ukulele spielt. „Lachen ist eine universelle Sprache. Sie funktioniert auf der ganzen Welt.“ Darum können Mielke und die anderen Clowns ohne Grenzen ihre Nummern in den verschiedensten Ländern der Erde aufführen – gelacht wird überall. „Lachen braucht keinen Dolmetscher“, ist darum auch das Motto von Heiko Mielke. Dennoch gelte es immer, kulturelle Gegebenheiten und Sitten zu beachten: In Ländern Afrikas sind die Clowns ohne Grenzen zurückhaltend mit Zauberei, da viele Menschen dort an Voodoo glauben. In Asien sollte man Kinder nicht am Kopf streicheln. Im arabischen Raum dürften Männer und Frauen sich auf der Bühne nicht berühren. Die Clowns treten darüber hinaus immer nur mit roter Nase, aber ohne geschminktes Gesicht auf, weil dies Ängste hervorrufen könnte.
Vorher spielten die Kinder Krieg, dann Clowns
Erklärtes Ziel der ehrenamtlichen Clowns ist die Resilienzstärkung, um die seelische Widerstandskraft von Kindern und Jugendlichen, aber auch von Erwachsenen in Krisenregionen zu stärken. Eines seiner schönsten Erlebnisse hatte Heiko Mielke beispielsweise in Jordanien: „Vor unserem Clownsauftritt haben die Kinder Krieg gespielt – danach spielten sie Clowns.“ Und in Sri Lanka, das Mielke wieder bereiste, spielten die Kinder einige Teile der Show nach, die sie zwei Jahre zuvor gesehen hatten. „Das ist schön und berührend zugleich“, unterstreicht der sichtlich gerührte Clown Mielke. Gleichzeitig beweist die Tatsache, dass der Einsatz der Clowns ohne Grenzen oft auf fruchtbaren Boden fällt und dankbare Menschen trifft. Darum ist ein wichtiger Teil der drei- bis vierwöchigen Reisen neben vier bis zu sechs oder sieben Shows am Tag – „das ist wirklich kein Urlaub“, so Mielke – die Durchführung von Clowns-Workshops für Kids und Große Sie sollen die Arbeit der Clowns lokal weiterführen. Heiko Mielke: „So bilden wir Multiplikatoren, die unser Wissen und Engagement weitergeben und ebenfalls dazu beitragen, eine schöne Zeit zu schenken.“ Woher Heike Mielke, der mit seiner Partnerin in Loose seit Kurzem noch eine kleine Pension mit Kleinkunstprogramm betreibt, die Energie für seine weltweiten Auftritte nimmt? Da muss der Clown aus Leidenschaft nicht lange überlegen: „Was gibt es Schöneres, als Menschen zum Lachen zu bringen? Für mich ist das das Leben.“ So steckt Mielke denn auch schon tief in den Planungen für seine Reise im nächsten Jahr – dann möchte der in Tansania benachteiligten Kindern, aber auch ihren Eltern und anderen Erwachsenen für einige Minuten oder Stunden eine kleine Auszeit vom krisengeschüttelten Alltag ermöglichen.
Die „Clowns ohne Grenzen“
Als Eingetragener Verein leben die „Clowns ohne Grenzen“ zum einen von den Beiträgen der zurzeit rund 250 Mitglieder. Zusätzlich finanzieren sich Arbeit und vor allem Reisen in Krisengebiete über kulturelle und geografische Grenzen hinweg vor allem aber auch aus Spenden sowie über Einnahmen aus Benefizveranstaltungen. Dazu bemühen sich die Clowns zum Unterstützung etwa durch Organisationen wie das Goethe Institut. www.clownsohnegrenzen.de
Stand meiner Recherche: Sommer/Herbst 2024. Alle Rechte: Christoph Schumann, Hamburg