Christoph Schumann
PORTRÄT WISSENSCHAFT Osnabrück/Hamburg (cs). Hilflos steht die Achtjährige auf der Straße vor dem Haus ihrer Familie. Flammen und Rauch schlagen empor. Und während das Feuer lodert, rufen Mutter und Kuscheltiere laut aus dem Fenster um Hilfe. Nicht immer träumen Kinder so bildstark wie die Achtjährige, die Katharina Lüth von ihrem Albtraum berichtet hat. „Junge Menschen haben ähnliche Träume wie Erwachsene“, sagt die Kognitionswissenschaftlerin, die an der Universität Osnabrück zu Träumen forscht. Oft gehe es um Gefühle und Emotionen oder um soziale Beziehungen in der Familie, zu Freunden oder im Beruf. „In solchen Fällen sind Träume eine Art Simulation des ›echten‹ Lebens und verarbeiten beispielsweise Probleme, für die man eine Lösung sucht und manchmal auch findet“, so die 34-jährige Expertin.
Wenn Albträume die Konzentration schwächen
Anders seien Albträume wie der des jungen Mädchens. In diesen seinen Themen in der Regel Gefahr, Verfolgtwerden, Verlust oder Tod. „Albträume sind nicht problematisch“, weiß Lüth. „Schwierig wird es aber, wenn das Kind darunter tagsüber leidet“, so die gebürtige Hamburgerin. Wenn die Konzentration leide, etwa in der Schule. Oder wenn sogar die Angst wächst, abends ins Bett zu gehen, so dass sich die Wahrscheinlichkeit für einen neuen Albtraum steigere. Erster Ansprechpartner sind dann fast ausnahmslos die Eltern. „Sie können helfen, indem sie den Kindern sachlich zeigen, dass sie in ihrem Zimmer und im Haus in Sicherheit sind“, rät Lüth, die selbst Mutter seines Sohnes ist. Besonders Kleinkinder träumten oft von Monstern oder Gespenstern. „Dann sollte man mit ihnen unter dem Bett, hinter dem Vorhang und in anderen Winkeln nachschauen und zeigen, dass alles in Ordnung ist“, so der Tipp. Rund jeder zwanzigste Erwachsene habe so starke Albträume, dass sie oder er darunter leide. Genaue Vergleichszahlen dazu gebe es für Kinder nicht, doch sei es sicher ähnlich. Anders als für Große sei es für Heranwachsende auch immer noch schwieriger, eine professionelle Hilfestellung zu finden.
Eine Bedrohung zum Guten wenden
Als Kognitions-, also Wahrnehmungsforscherin bietet Katharina Lüth in solchen Fällen keine psychotherapeutische Hilfe an. „Wir machen aber eine Albtraumberatung“, sagt Lüth, die auch eine der Sprecherinnen der Arbeitsgruppe „Traum“ bei der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin e.V. ist. Bei Erwachsenen versuche man, in insgesamt drei Schritten, den Albtraum quasi zu überschreiben. Dazu werde das Geträumte zunächst schriftlich festgehalten. Dann versuche man, einen positiven Ausgang für die Geschichte zu finden, in dem das Traum-Ich aktiv Handelnder wird. Lüth: „Zum Beispiel kann jemand, der bedroht wird, Unterstützung holen und Herr der Lage werden, die sich zum Guten wendet.“ Anschließend wiederholen Albtraum-Geplagte dieses Szenario zwei Wochen lang innerlich immer wieder im Wachzustand. „So trainiert man das Gehirn darauf, eine Lösung zu aktivieren – die Hilflosigkeit im Traum verschwindet“, sagt Lüth zu dieser Form der Selbstwirksamkeit. Mit Kinder übt die Traumexpertin diese Schritte kreativer: „Ich lasse sie ein Bild ihre Traumes malen“, so Lüth. „Das kann ruhig auch unlogisch sein. Wir wenden dann das dunkle Bild in ein helles: Etwa, in dem der Teddy im brennenden Haus zum Superhelden wird, der das Feuer löscht.“
Kinder müssen lernen, Träume richtig zu bewerten
Rund ein Drittel seiner Lebenszeit verbringe man im Schlaf. Warum genau Menschen träumen, sei aber immer noch ein Rätsel, unterstreicht Lüth, die die Traumschlafphasen ihrer Probanden im studentisch geleiteten Schlaflabor der Universität anhand der Hirnströme mit einer Elektroenzephalografie (EEG) aufzeichnet. Unabhängig vom Alter träumten alle Menschen vier bis fünf Mal pro Nacht und in allen Schlafphasen. Die intensivste Traumzeit sei allerdings der REM-Schlaf in der zweiten Nachthälfte, der durch schnelle, intensive Augenbewegungen gekennzeichnet sei. Lüth: „Dann träumen Kinder wie Ältere am emotionalsten.“ Gerade in der REM-Phase haben Betroffene auch eher Albträume. Wecken sollte man Kinder nicht, meist erführen Eltern ohnehin erst am nächsten Morgen von der Nacht ihres Nachwuchses. Überhaupt, so das Fazit der Schlafforscherin, seien Albträume üblicherweise kein Grund zur Sorge: „Natürlich beschäftigen sich Kinder und Jugendliche im Traum mehr mit Fragen wie guten oder schlechten Freunden, Reibereien in der Familie, Verfolgung, Kriegen, Naturkatastrophen oder dem Sterben von Eltern oder Großeltern“, fasst Katharina Lüth zusammen. Diese hatten oder haben teils Erwachsene auch: „Wir haben aber fast alle gelernt, damit umzugehen und unsere Träume entsprechend einzuordnen und zu bewerten.“ Dies müssten Kinder erst noch lernen. Und meist täten sie dies auch – allein, im Austausch miteinander oder den Eltern. Professioneller Rat zum Beispiel in einer der Anlaufstellen für Albtraumberatung sei darum nur in den seltensten Fällen nötig.
Stand meiner Recherche: Frühjahr 2024, Hamburg, Christoph Schumann