REPORTAGE St. Denis/La Réunion. Ein verführerischer Duft aus Linsen, Knoblauch, gegrilltem Fleisch, Reis und exotischen Gewürzen durchzieht die Küche von Elourda Severin. Mit gekonnten Handgriffen und gezielten Tipps weist die 54-Jährige ihre weit gereisten deutschen Gäste in die Kochkunst ihrer Heimat ein: „Die kreolische Küche ist unsere einzigartige Kombination aus indischen, afrikanischen, französischen und chinesischen Zutaten. Über alle Schichten, Generationen und Herkunft hinweg verbindet sie die Menschen hier auf La Réunion“, sagt unsere Gastgeberin, die regelmäßig Neugierige zum Table d’Hôtes in ihre Privatküche im Bergort Les Avirons einlädt.
Während in Severins Garten Webervögel ihre Nester bauen und die Abendsonne rot über dem Badeort Étang-Salé im Indischen Ozean versinkt, konzentrieren wir uns weiter auf den kreolischen Klassiker Ragoût au cari mit viel Chili und Curry sowie die unwiderstehlichen Vorspeisen Samoussa – fittierte Teigtaschen – mit Gemüse und Bonbons Piment. Noch mehr Genuss als die Zubereitung bereitet dann nur noch das gemeinsame Essen am großen Holztisch, abgerundet von einem Ananas-Bananen-Dessert aus heimischen Früchten.
Abegrundet wird der Geschmack von einem Hauch der weltberühmten „Bourbon-Vanille“. Anders als früher können aber heute nur noch zwei der insgesamt 700 Vanillebauern von den Früchten ihrer Plantagen leben. Aimé Leichnig ist einer von ihnen. Der 53-Jährige erntet auf seiner Farm Escale Bleue in Saint-Philippe seit 1986 rund eine Tonne des begehrten Aromas: „Der Prozess dauert lang und erfordert viel Geduld“, sagt der Vanillebauern. „Zunächst muss jede der zur Familie der Orchideen gehörenden Pflanzen von Hand bestäubt werden. Ernten können wir nach neun Monaten.“ Anschließend werden von Hand gepflückt, die empfindlichen Schoten getrocknet, bis zu neun Monate lang veredelt, dann sorgfältig verpackt und aufbewahrt. Nur so können sich die mehr als 50 Aromen der Königin der Gewürze voll entfalten. Kein Wunder also, dass die „Bourbon-Vanille“ die teuerste Vanille der Welt ist.
Ebenso faszinierend wie die Küche ist La Réunions Kulturenmix aus afrikanischen, indischen, europäischen und chinesischen Wurzeln seiner rund 830.000 Bewohner. Untereinander sprechen die Réunionnais, wie die Inselbewohner offiziell heißen, meist nicht Französisch, sondern das davon abgeleitete Kreolisch. Knapp 400 Jahre nach der Ankunft der ersten französischen Siedler hat sich aber nicht nur die Hauptsprache – die dank Satelliten-TV allerdings jüngst eine Renaissance erfährt – abgeschliffen – auch die Herkunft der Insulaner lässt sich nach Generationen des Miteinanderlebens an blauen, bretonischen Augen oder schwarzem Haar der Inder oft nur noch erahnen, aber nicht mehr eindeutig erkennen. Ähnlich vielfältig ist die Welt der Religionen: Zwar ist die Mehrheit der Réunionnais offiziell katholisch, doch sieht man ebenso oft buddhistische Opferfeiern oder hinduistische Tempel. Die friedliche Toleranz sehen Ethnologen und Religionswissenschaftler oft als Rollenmodell für die Zukunft der Welt.
Fast noch aufregender aber zeigt sich die Natur der Tropeninsel: Vor rund drei Millionen Jahren entstand La Réunion beim Ausbruch des Vulkans Piton des Neiges. Der 3070 Meter hohe „Schneegipfel“ ist zwar erloschen, ragt aber noch heute als höchster Punkt im Indischen Ozean empor. Seine kreisrunden Talkessel Cirque Cilaos, Salazie und Mafate liegen mitten im Unesco-Weltnaturerbe und sind kaum besiedelt. „Über die Hochebenen und alten Handelswege kann man tagelang abseits von Zivilisation und Autoverkehr wandern und unterwegs die seltene Faune mit Hochfarnen oder unserem Lieblingsvogel Tec-Tec erkunden. Übernachten kann man in einfachen Unterkünften“, weiß Claire Balada, die mit 20 Jahren Erfahrung als Wanderguide jeden der 1000 Kilometer Wanderwege kennt. Auch die zum noch aktiven Vulkan Piton de la Fournaise, der zuletzt 2015 ausbrach. Die Garantie für den Erhalt der sensiblen Natur von La Réunion ist der ausgedehnte Naturschutz, so die aus dem Mutterland Frankreich stammende Balada: „Unser Nationalpark umfasst mit 1750 Quadratkilometern rund 40 Prozent der gesamten Insel. Und seit 2007 ist der meiste Teil davon sogar Unesco-Weltnaturerbe. So bleiben subtropische Feuchtwälder, Graslandschaften und die mehr als 100 Mikroklimas auch für die Zukunft erhalten.“
Das La Réunion auch ein perfektes Ziel für Familien ist, bestätigen Yvonne und Dirk Schwedler: „Wir machen mit unseren beiden kleinen Kindern Tageswanderungen. Dank der fast europäischen Infrastruktur und des modernen Nahverkehrssystems ist das ganz einfach“, so die weitgereisten jungen Eltern aus Süddeutschland. Ihr Eindruck trifft: „Die Insel ist eine Mischung aus Karibik, Galapagosinseln und vulkanischen Kanaren – von allem das Beste.“ Nicht zu vergessen das glasklare Meer mit den meist lavaschwarzen Sandstränden unter Palmen, die zum Baden in Lagunen, Tauchen oder Surfen einladen.
REISEINFORMATION
Die rund 2500 qkm große Île de la Réunion liegt im Indischen Ozean rund 200 km südwestlich von Mauritius und bildet mit Mauritius und Rodrgiues die Maskarenen. Als franz. Überseedepartement können EU-Bürger mit Personalausweis einreisen. Währung ist der Euro, offizielle Sprache Französisch. La Réunion ist ein Ganzjahresziel. Zum Wandern am besten sind Mai–Nov., Badesaison von Nov.–April. Besondere Impfungen sind nicht erforderlich. Die Zeitverschiebung beträgt nur 2 Std. (Sommer) bzw. 3 Std. (Winter). www.insel-la-reunion.com
Tipp: Das individuelle Palm Hotel & Spa im Inselsüden bei St. Joseph hat nur 65 Zimmer, Suiten und Lodges. www.palm.re
Anreise: Tgl. Verbindungen mit Air France (www.airfrance.de) oder La Réunions eigener Airline Air Austral (www.air-austral.de) ab Paris. Flugdauer ca. 11 Std.
Stand: Sommer 2016