REPORTAGE und HINTERGRUND Oświęcim. Dann wird es plötzlich still. Konzentriert. Fast andächtig. Gerade noch hat unsere Besuchergruppe sich am Museumseingang intensiv ausgetauscht und sich ums Praktische gekümmert, Kopfhörer angepasst und die Lautstärke am kleinen Empfangsgerät eingestellt. Nur wenige Schritte am Elektrozaun vorbei, dann ist eines der zynischsten Symbole der Nationalsozialismus erreicht: Durch das Tor mit dem Schriftzug „Arbeit macht frei“ geht es ins NS-Lager Auschwitz. Genau 75 Jahre ist es heute her, dass die Rote Armee das sogenannte Stammlager und das rund drei Kilometer entfernte Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau auf ihrem Weg nach Westen befreiten. Der Wintertag war kälter als dieser Morgen in der vergangenen Januarwoche – und den russischen Soldaten der 60. Armee der Ersten Ukrainischen Front bot sich ein schrecklicher Anblick, der sich am Ort des Grauens kaum nachvollziehen lässt: etwa 7500 jüdische Häftlinge harren noch im Vernichtungslager aus, ihr Zustand ist schlecht, lebensbedrohlich. Viele sind zu kraftlos, um sich zu freuen. Um Spuren zu verwischen, töteten die SS-Wachhabenden noch in den letzten Tagen von Auschwitz zehntausende Juden und sprengten Gaskammern und Krematorien.