Vom Streikobjekt zum größten Automuseum der Welt: Ein Besuch im "Nationalen Automobilmuseum – Sammlung Schlumpf" im französischen Mulhouse

Technikgeschichte: Besucher können im Nationalen Automobilmuseum den Aufbau früher Autos an Modellen detailgenau nachvollziehen. Foto: Christoph Schumann, 2024
Technikgeschichte: Besucher können im Nationalen Automobilmuseum den Aufbau früher Autos an Modellen detailgenau nachvollziehen. Foto: Christoph Schumann, 2024

REPORTAGE

 

Mulhouse/Frankreich (cs). Unbeschwert war die Liebe zum Auto auch schon vor Jahrzehnten nicht immer. Jedenfalls wenn sie Dimensionen annahm, die Außenstehende nicht nachvollziehnen können – oder sollten. So wie im Fall der Brüder Hans und Fritz Schlumpf aus dem elsässischen Mülhausen, die mit ihrer Leidenschaft die Grundlage zum heute größten Museum seiner Art weltweit legten mit mehr als 600 außergewöhnlichen Fahrzeugen von Bugatti bis Rolls-Royce. Die Geschichte des längst zum nationalen französischen Kulturgut zählenden „Musée National de l’Automobile –Sammlung Schlumpf“ ist ebenso wechselvoll wie kämpferisch. Und erinnert damit auch an die leidenschaftlichen Auseinandersetzungen, die derzeit um die Rolle des Autos geführt werden.

Hans und Fritz Schlumpf werden 1904 und 1906 in Italien als Kinder eines Schweizer Vaters, Carl, und einer Mutter aus Mulhouse, Jeanne Becker, geboren. Die Familie lässt sich 1906 in Mulhouse nieder. Nach dem Tod von Carl Schlumpf wird Hans auf eine Privatschule in der Schweiz geschickt und erwirbt ein Kaufmannsdiplom. Er arbeitet in verschiedenen Banken in Mulhouse, ehe er sich 1929 mit seinem Bruder zusammenschließt. Der hatte in Mulhouse in Textilunternehmen angeheuert und sich 1928 als Wollhändler selbstständig gemacht. 1935 gründen die beiden Brüder die SAIL (Société Anonyme pour l'Industrie Lainière, Aktiengesellschaft für die Wollindustrie), kaufen ihre ersten Aktien der Spinnerei in Malmerspach und übernehmen die Mehrheit an verschiedenen Unternehmen.

Vom Textilunternehmer zum Auto- und Bugatti-Fan

1957 kaufen die beiden Brüder in Mulhouse die bekannte Textilfabrik HKD (Heilmann, Koechlin und Desaulles), eine 1880 gegründete ehemalige Kammgarnspinnerei. Etwa zu dieser Zeit beginnt Fritz auch mit dem Sammeln von Autos, nachdem der leidenschaftliche Autofahrer mit seinem Bugatti 35B bereits an zahlreichen Rallyes teilgenommen hatte. Dank üppiger Einnahmen aus den florierenden Textilunternehmen, weiteten die Schlumpfs ab 1960 ihre Käufe klassischer Fahrzeuge aus, die sie mit Hilfe von Kennern und einem großen Fach-Netzwerk in Frankreich, der Schweiz, Italien, Deutschland und den USA fanden. Einen Schwerpunkt bildet dabei Bugatti, deren Herz Fritz Schlumpf besonders gehört. Erfahren darf von den teils immensen Ausgaben für Autos aus der großen Zeit der Pkw in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts offiziell niemand. Versteckt stehen die Wagen an einem geheimen Ort ni der HKC-Fabrik. Dennoch hat Fritz Schlumpf schon früh die Idee, ein Museum rund um seine außergewöhnliche Sammlung zu gründen, die er in wenigen Jahren zusammenstellte: 437 Autos von 97 verschiedenen Marken. Die Veröffentlichung eines Artikels in der Zeitung L'Alsace im Mai 1965, der den Umfang der versteckten Sammlung enthüllt, beschleunigt dann zwangsweise die Umsetzung des Projekts. 1966 beginnt der Umbau eines Teils der Lagerhallen der Fabrik: Die Baustelle ist gewaltig und dauert Jahre, es entsteht ein zusammenhängender Ausstellungsraum mit insgesamt drei Kilometern langen Alleen – der „Avenue Carl Schlumpf“, der nach der Mutter benannten „Avenue Jeanne Schlumpf“, der „Rue Royale“. Sie bilden noch heute ein Herz des jetzt 20.000 Qudratmeter großen Hauses, das zurzeit 600 Modelle beherbergt.

Anfänge als Sammlung, dann Restaurierung

Gleichzeitig bemühen sich die Schlumpfs um die Instandsetzung der Autos. Zeitweise sind sieben Mechaniker, zwei Sattler, zwei Spengler und fünf Lackierer angestellt. Für den Kauf und die Ausstellung seiner Sammlung gibt Fritz Schlumpf in zehn Jahren rund zwölf Millionen Francs aus. 1976, zum Höhepunkt der Ölkrise, steht das Museum kurz vor der Eröffnung. Doch parallel führt die europäische Textilkrise zum Zusammenbruch des Industrieimperiums der Gebrüder Schlumpf und zu Arbeitskämpfen in ihren Spinnereien und Werken. Die Brüder werden der Unterschlagung beschuldigt, ihr Vermögen wird liquidiert – es ist der Beginn des in Frankreichs unvergessenen „Schlumpf-Skandals“, denn 1977 entdecken die entlassenen Arbeiter die immer noch geheime Privatsammlung. Es folgte einer der wohl ungewöhnlichsten Arbeitskämpfe der Geschichte: Zwei Jahre lang besetzen die Gewerkschaften die Lagerhallen und benennen das Museum in „Arbeitermuseum“ um, der Eintritt ist kostenlos. Am Ausgang werden Spenden für die Deckung der mit der Eröffnung des Museums und der Fortsetzung der Aktion verbundenen Kosten gesammelt. 1978 wird die Sammlung von der Regierung als historisches Monument eingestuft, was de facto bedeutete, dass kein Teil der Sammlung das französische Staatsgebiet verlassen darf. 1979 bestätigt das Berufungsgericht in Colmar die Ausweitung der Liquidation auf das persönliche Vermögen der Brüder Schlumpf. Einige Stunden nach dem Urteil gibt die CFDT (Confédération française démocratique du travail, Französischer Demokratischer Gewerkschaftsbund) die Schlüssel der Fabrik zurück. Die Schlumpf-Sammlung bildet dann ab 1982 die Grundlage des neuen Nationalen Automobilmuseums.

Das „L'Œuf électrique“, das „elektrische Ei“ von Paul Arzens: 1942 entwickelte der französische Designer ein futuristisches elektrisches Leichtfahrzeug, das seiner Zeit weit voraus war. Foto: Christoph Schumann, 2024
Das „L'Œuf électrique“, das „elektrische Ei“ von Paul Arzens: 1942 entwickelte der französische Designer ein futuristisches elektrisches Leichtfahrzeug, das seiner Zeit weit voraus war. Foto: Christoph Schumann, 2024

Von den Anfängen zum "Superauto"

So haben Besucher heute das Glück, einmalige Blicke in die Anfänge und große Zeit des „klassischen“ Autobmobils zu werfen: Im Ausstellungsbereich „Vorfahren“ etwa seltene Modelle von teils vergessenen Herstellern aus der Zeit von 1878 bis 1918 wie Panhard und De Dion, aber auch Benz und Peugeot. Die Autobauer von Panhard schon damals den Aufbau des modernen Automobilsvon vorn nach hinten mit Motor, Kupplung, Getriebe und Antrieb auf die Hinterräder. Die „Klassiker“ aus der Ära von 1918 bis 1938 sind vor allem durch die Fusion zweier großer Hersteller symbolisiert: Mercedes und Benz. Es ist der Beginn der Ära der „Superautos“, die sich durch enorme Größe und Leistung auszeichnen. Die serienmäßige Einführung des Frontantriebs durch Citroën im Jahr 1934 war die große technische Innovation dieser Zeit – heute eines der gängigsten Antriebskonzepte.

 

Kleine Moderne

Etwas kleiner ist der Museumsbereich zu „Modernen“, leichten und volkstümlichen Autos nach 1945 wie dem Citroen 2CV, der berühmten „Ente“, oder dem Renault 4. Erstaunlich: Schon damals gab es konzepte für kompakte Stadtautos, die wenig Kraftstoff verbrauchen – sich aber wie die heute wieder auf übliche Maße gewachsenen Mini oder Smart auf dem Massenmarkt nicht durchsetzen konnten. Faszinierend sind auch die außergewöhnlichen Sportmodelle des Museums wie der Panhard-Levassor Biplace Course (1908), der Mercedes W125 (1937) oder ein Lotus Typ 33 (1963). Dass Aerodynamik schon früh eine wichtige Rolle spielte, anfangs noch im Autobmobilsport, demonstriert unter anderem ein Bugatti 32 von 1932, der legendäre Rennen gewann. Dazu kommt ein Ausstellungsbereich mit äußerst seltenen Fahrzeugen wie einem Rolls-Royce Silver Ghost von 1924, ein Schwerpunkt zu Bugatti Supercars sowie Hintergründe zur handwerklichen Restaurierung historischer Autos von der Demontage bis zur Instandsetzung.

 

Hintergrund

Das französische Nationale Automobilmuseum, Musée National de l’Automobile ist täglich von 10 bis 17 bzw. 18 Uhr geöffnet. Geschlossen ist nur am 1. Weihnachtsfeiertag, dem 25. Dezember. Der Eintritt kostet 18 Euro für Erwachsene, Jugendliche bis 17 Jahre zahlen 11 Euro. Eine Familienkarte für 2 Erw. und 2 Kinder kostet 50 Euro. Das Automobilmuseum in Mühlhausen, franz. Mulhouse, liegt rund eine Autostunde von Freiburg oder Straßburg und etwa 20 min. von Colmar entfernt in der 17 rue de la Mertzau, F-68100 Mulhouse, www.musee-automobile.fr/de/

 

Noch bis 3. November 2024 zeigt das Mülhauser Automobilmuseum die Sonderausstellung „Von Monaco nach Mulhouse“ mit 20 außergewöhnlichen Fahrzeugen aus der Sammlung de monegassischen Fürsten Rainier III., der mehr als 40 Jahre lang leidenschaftlich Autos fuhr und sammelte – darunter einen Lotus Seven IV von 1971, das erste Humber-Motorrad von Albert I., ein Rallyeauto von Peugeot und ein Formel-1-Bolide.

 

Mehr Informationen zum elsässischen Mulhouse auf www.tourisme-mulhouse.com.

 

 

Idee, Recherche und Text - Copyright: Christoph Schumann, Hamburg, August 2024.

"Meisterwerke“ und stattliche Karossen von fünf Metern Länge und mehr bilden einen Schwerpunkt des Nationalen Automobilmuseums – hier ein Mercedes aus den 1930ern. Foto: Christoph Schumann, 2024
"Meisterwerke“ und stattliche Karossen von fünf Metern Länge und mehr bilden einen Schwerpunkt des Nationalen Automobilmuseums – hier ein Mercedes aus den 1930ern. Foto: Christoph Schumann, 2024