Von Christoph Schumann
PORTRÄT Bodø/Salstraumen. Wenn Tore Hongset aus dem Fenster seines kleinen Büros schaut, hat er das Meer sofort im Blick. Ja, nicht nur das Meer, sondern eines der spektakulärsten Naturphänomene, das die Weltmeere bieten: den Saltstraumen. Denn das rote Holzhaus, in dem der 56-jährige Norweger vor rund zehn Jahren „Arctic Salt“ gründete, liegt in Ripnes auf der Insel Knaplundsøya unmittelbar am Ufer des größten Gezeitenstroms der Welt – des „Stroms in Salten“, so die deutsche Übersetzung. Der äußere und der innere Saltfjord sind mit nur etwa 150 Metern Breite hier so eng, dass sich die Gezeiten etwa 400 Millionen Liter Meerwasser hier auf bis zu 40 Stundenkilometer beschleunigen und sich spektakuläre Strudel von zehn und mehr Metern Durchmesser bilden. Ihre Kraft reißen BeobachterInnen von den umliegenden Ufern oder Booten schon beim bloßen Anblick in ihren Bann.
Meerverbunden seit der Kindheit
Für Tore Hongset hingegen ist der Saltstraumen nicht eine der größten Naturattraktionen seiner Heimat Nordnorwegen, sondern Alltag. Nicht Kulisse unvergesslicher Urlaubsfotos, sondern
„Jagdgebiet“. Wer dabei jedoch an Fischfang denkt, liegt falsch. Denn der Familienvater nutzt einen der reinsten Rohstoffe der Region, um daraus ein Mineral zu gewinnen, das in keiner Küche
fehlt: Salz. Genauer gesagt Meersalz. „Die Idee, der nördlichster Salzsieder der Welt zu werden, kam mir schon vor Jahrzehnten“, erinnert sich Tore Hongset, der im rund 30 Kilometer entfernten
Bodø aufwuchs, wo er heute noch lebt und seinem ursprünglich gelernten Beruf nachgeht. „Schon als Kind und Jugendlicher war ich mit dem Boot immer auf dem Fjord unterwegs, habe geangelt, bin
geschwommen oder getaucht. Der Fjord war und ist zentraler Bestandteil meines Lebens.“ Dass Hongset im Hauptberuf als Verantwortlicher beim nationalen Rettungsdienst Norsk Redningstjeneste in der
Zentrale in Bodø darüber hinaus für die Koordination von Notfalleinsätzen auf See oder in der Luft für das gesamte Gebiet von Trøndelag im Süden über Svalbard bis zum Nordpol zuständig ist,
festigte seine Verbindung zum Meer nur noch mehr.
„Lange habe ich überlegt, wie man die Schönheit des Saltstraumen und seine natürlichen Möglichkeiten nachhaltig nutzen und vermarkten kann“, erinnert sich der Firmengründer an seine Anfänge als
Salzmacher. „Bis mir das natürlich vorkommende Salz als großer Schatz einfiel, das ja nicht nur im Mittelmeer, sondern auch in der Nordsee mancherorts gewonnen wird. Nur ist es hier durch den
starken Gezeitenstrom noch reicher an Mineralstoffen und Spurenelementen.“ Die (Erfolgs-)Geschichte von „Arctic Salt“ beginnt an einem Sommertag im Jahr 2012: Nach unzähligen Versuchen hat
Tore Honget endlich den „Code“ für Meersalz von höchster organischer Qualität geknackt – und das Gourmetsalz von „Arctic Salt“ mit seinem überraschend meeresfrischen Geschmack war Realität.
Sanftes Sieden über mehrere Tage
Noch im selben Jahr bietet der eingefleichste Nordnorweger sein handgeschöpftes Gourmetsalz erstmals unter dem Markennamen „Arctic Salt“ an. Viel größer als damals ist die Produktion des
Mini-Unternehmens bis heute nicht geworden. Und auch das Verfahren hat sich kaum geändert: „Ich pumpe das Meerwasser direkt aus dem Saltstraumen in zwei Siedebecken hier im Haus“, sagt Hongset.
„In den beiden je 4200 Liter großen Wannen verdampfen zwölf Tage lang rund 80 % des Wassers ganz allmählich. So erhalte ich am Ende rund 800 Liter hochkonzentriertes Meerwasser, in dem das
Meersalz kristalliert.“ Weitere 24 Stunden tropft es anschließend ab und erhält seinen gewünschten Trockengrad, je nach vorgesehener Anwendung. So gewinnt Hongset etwa 80 bis 100 kg nordisches
Salz je Wanne, insgesamt rund 8000 kg im Jahr, die alle in Handarbeit vor Ort verpackt und auslieferungsklar gemacht werden. „Wenn ich ehrlich bin, ist meine Arbeitsweise schrecklich ineffektiv“,
lacht Hongset, der sich vorstellen kann, bei einer angestrebten Umsatzverdoppelung in den kommenden Jahren einen Mitarbeiter für den täglichen Betrieb einzustellen, „und im Grunde bis heute ein
Hobby.“
Allerdings ein Hobby, das Spaß macht. Und bei Hobbyköchen ebenso gut ankommt wie bei Gourmets und Sterneköchen. „Einen Teil meines Salzes verkaufe ich an ausgewählte Restaurants und Hotels,
schwerpunktmäßig in Nordnorwegen, aber auch darüber hinaus“, so Hongset. Ein weiterer Teil geht an nationale Fischgeschäfte, Delikatessenläden oder an Souvenir- bzw. Taxfree-Shops z.B. an
Flughäfen, wo „Arctic Salt“ ein im wahrsten Sinn des Wortes geschmackvolles Mitbringsel oder Urlaubserinnerung ist. Darüber hinaus ist „Arctic Salt“ seit Kurzem in ausgewählten Läden in
Deutschland erhältlich, darunter Berlin – wo Hongset 2016 sein Produkt auf der Grünen Woche präsentierte –, Hamburg und Bremen. Als groberes Fingersalz ist das Meersalz von „Arctic Salt“
Salz in seiner ursprünglichsten Form. Das soll es auch bleiben, findet Hongset. Mischungen mit ausschließlich lokalen Kräutern wie Tang, Thymian oder Liebstöckel bleiben die Ausnahme, hat der
hauptberufliche Lebensretter beschlossen: „Arctic Salz ist nordnorwegisch – darum werde ich mein Salz nie mit weit gereisten Zutaten wie Chili mischen.“
HINTERGRUND
Arctic Salt AS gewinnt Gourmet-Fingersalz aus den nordatlantischen Meeresstrudeln des Saltstraumen. Das Salz ist unbehandelt, enthält keine Bleich- oder Trennmittel, wird regelmäßig von Experten
kontrolliert und hat einen milden Meeresgeschmack und ist ideal zum Kochen. Die Produktion ist abfallfrei und umweltfreundlich, so wird etwa der Stromverbrauch durch den Einsatz von Wärmepumpen
zur Wassererwärmung reduziert. Laut Firmengründer und Alleinunternehmer Tore Hongset liegt die Jahresproduktion bei rund 8100 kg. Der Gewinn des mehrfach ausgezeichneten Startups lag 2019 bei
rund 250.000 NOK (rund 24.000 Euro).
www.arcticsalt.no
Stand: Oktober 2021