REPORTAGE Pinneberg/Flintbek (cs). Ein Tortenheber, der Kuchen ohne umzufallen auf den Teller bringt. Eine Gummimanschette, die verhindert, dass Kaminholz beim Spalten vom Bock auf den Boden fällt. Ein Bett-Schalfsystem, das Lattenrost und Matratze zu einer Einheit vereint. Ein Wasserrad, das aus Modulen zusammengesetzt ist, die sich je nach Einsatzort und Größe einsatzgenau anpassen lassen. Oder ein Kühlschrank, der verderbliche Lebensmittel über das angegebene Haltbarkeitsdatum genießbar macht – und so der Verschwendung von Nahrungsmitteln vorbeugt. Das sind nur einige der Ideen, die der Erfinderclub Schleswig-Holstein e.V. hervorgebracht hat. „Sagen Sie bloß nicht, wir wären Tüftler“, warnt mich Hartmuth Drews gleich bei der Begrüßung mit einem Augenzwinkern. „Wir sind nämlich keine Nerds oder Verrückten, sondern eher Entwickler“, ergänzt der gelernte Bauingenieur. Um mich ohne Umschweife in seine Welt zu entführen: die Ideenwerkstatt im Keller. „Haben nicht alle Erfinder ihr Reich im Keller oder in der Garage?“, fragt Drews, der als zweiter Vorsitzender des Erfinderclubs von Pinneberg-Waldenau aus mit lenkt. „Auch so ein Klischee, das selten bis nie zutrifft.“
Denn in den meisten Fällen sei so, erläutert Drews, dass Erfinder Lösungen für alltägliche Probleme suchten und im Idealfall auch fänden. Dies könne Fragen betreffen, die privat auftauchen. Oder die bei beruflichen Herausforderungen nach einer umsetzbaren Klärung förmlich riefen. „Bei mir war dies beispielsweise ein beleuchteter Fluchtwegweiser“, erinnert sich der 74-Jährige und zeigt auf eine Alu-Notleuchte an der Wand, die per Pfeil einen Rettungsweg oder Fluchtausgang beschildert. „Anders als heute waren die Scheiben bis vor wenigen Jahren immer verschraubt“, erinnert sich Drews, „sodass beim Wechsel einer Glühbirne jeweils Minuten vergingen.“ Er habe daraufhin ein Modell entwickelt, dessen transparente Scheibe sich schnell und bequem mit einem Schraubenzieher aufhebeln ließ – ein Handgriff statt vieler. Und eine Zeit- und Kostenersparnis für Handwerker. „Dies war mein erstes Patent, das lange von Herstellern produziert und etwa am Flughafen in Frankfurt genutzt wurde“, so Drews. So wie damals bei ihm sei es fast immer: „Man erfindet oder findet eine konkrete Lösung für ein konkretes Problem.“ Nicht selten auch durch Zufall.
Erfindung mit Nachhaltigkeit: das Segmentkranz-Wasserrad
Ihm sei besonders zugute gekommen, dass er als Ingenieur schon früh mit CAD, also computergestütztem 2D- und 3D-Design in Berührung gekommen sei. Das habe ihm auch bei seiner zweiten Erfindung geholfen: dem sogenannten Segmentkranz-Wasserrad. Was Drews damit zu tun gehabt hat? „Eigentlich gar nichts“, gesteht der gebürtige Hamburger. „Vor mehr als zwanzig Jahren sollte ich für einen Bauherrn in der Nähe von Itzehoe nach dem Kauf einer historische Mühle die Renovierung betreuen. Der wollte ursprünglich das verfallene Wasserrad wieder instand setzen, um Strom erzeugen zu können.“ Dass das Projekt dann doch nicht realisiert wurde, störte Drews nicht. Denn sein Erfindergeist war geweckt: Wie konnte man alte Mühlen einfach, effektiv und kostengünstig wieder nutzbar machen – gerade in Zeiten, in denen nachhaltige Energie immer mehr Bedeutung erlangt. Nach zahlreichen Entwürfen kam Drews auf sein Modell, das in inzwischen mehr als zwanzig Jahren an über dreißig reaktivierten Wassermühlen in Deutschland, aber auch Nachbarländern wie den Niederlanden läuft: Dank einer modularen Bauweise, in der die einzelnen Schaufeln des Mühlrads an die örtlichen Voraussetzungen angepasst sind, kann der Durchmesser des Rades variieren. „Im Grunde ist es einfach: Wie beim Metallarmband einer Uhr bestimmt die Anzahl der Segmente den Durchmesser.“ Die einzelnen Schaufeln sind aus festem Edelstahl – Laserzuschnitt und Montage erfolgen bei Partnern –, die Arme der Mühle aus langlebigem Lärchenholz. Montiert wird dann gemeinsam vor Ort. Hartmuth Drews: „Ein einziges Wasserrad kann so im Jahr bis zu 50.000 Kilowattstunden Strom erzeugen.“ Der werde überwiegend zum Eigenbedarf genutzt – die meisten der um 1900 noch rund 55.000 deutschen Wassermühlen gehören Landwirten, die den Strom selbst im Betrieb oder etwa für Ferienwohnungen nutzen. Der Neubau eines durchschnittlich 70.000 Euro teuren Wasserrades könne sich so bereits nach wenigen Jahren amortisieren, so Drews.
Gründung 1997
Da er gerade bei Zahlen ist, räumt der umtriebige Entwickler gleich mit einem weiteren Vorurteil auf: „Die Vorstellung, dass viele Erfinder schon morgen Millionäre seien, ist leider ein Märchen.“ Denn kommerzieller Erfolg sei zwar nicht ausgeschlossen, sagt Drews, und verweist zum Beispiel auf die Kombination aus Lattenrost und Matratze, die Erfinder-Kollege Gerhard Winter vor mehr als dreißig Jahren patentieren ließ und damit den Grundstein zum noch heute in Schleswig ansässigen Familienunternehmens Laroma legte. Doch die wichtigste Eigenschaften eines Erfinders seien Durchhaltevermögen und Ausdauer. Gerade deshalb sei ein Netzwerk wie der 1997 gegründete Erfinderclub wichtig: „Unser Verein bietet Erfahrungsaustausch von Erfindern“, sagt Drews. Dies gehe von Tipps bei der technischen Umsetzung über die Auslegung von Schutzrechten und Fragen zu Patenten, Gebrauchtsmustern oder Designrechten bis hin zur Vermarktung von Ideen. „Denn natürlich findet nicht jede Erfindung auch eine Hersteller oder Interessenten“, weiß Drews aus eigener Erfahrung. Darum seien die monatlichen Vereinstreffen in Flintbek bei Kiel bei allen Mitgliedern eine willkommende Gelegenheit zum Austausch und Blick über den eigenen Tellerrand. Ganz gleich, ob jemand an Verbesserungen für Haushalt oder Hobby, Auto oder Fahrrad, Klimawandel und erneuerbaren Energien oder Mensch und Gesundheit interessiert sei. Auch über Drews Schreibtisch hängt darum das Erfinderclub-Motto: „Wer keine Fehler macht, ist nicht innovativ genug“.
Das Ziel: die Erfindungen öffentlich bekannt zu machen
Ebenso wichtig wie die Vereinstreffen sei das gemeinsame Auftreten des Clubs bei Messen und Branchenveranstaltungen. In der Satzung heißt es dazu darum: „Ziel und Zweck des Erfinderclubs Schleswig-Holstein e.V. ist es, gemeinsam Aufmerksamkeit zu bekommen und die Erfindungen publik zu machen…“ Größter Marktplatz dafür sei die iENA, die Internationale Fachmesse für Ideen, Erfindungen und Neuheiten, die alljährlich in Nürnberg stattfinde, sagt Drews. Dort seien die Wege kurz, der Dialog zwischen Ideen, Entwicklern und Herstellern intensiv. Regionale Bedeutung für die Präsentation neuer oder bewährter Innovationen des Erfinderclubs habe aber auch die Norla in Rendsburg als Marktplatz für landwirtschaftliche Fachbesucher und Verbrauchermesse. Mit rund fünfzig Mitgliedern, Frauen wie Männern, ist der Erfinderclub Schleswig-Holstein einer der größten seiner Art hierzulande. Gibt es da Nachwuchsprobleme wie in anderen Sparten auch? „Ja und nein“, wägt Drews ab. „Denn tatsächlich stoßen viele Interessenten erst spät oder sogar nach Eintritt in die Rente zu uns.“ Grund dafür sei das sogenannte Arbeitnehmererfindungsgesetz, nach dem Angestellte eigene Entwicklungen oder Erfindungen im Berufsleben für ihren Arbeitgeber machen. „Das hält viele Jüngere davon ab, bei uns mitzumachen. Viele sind verunsichert, ob sie eine Idee selbst nutzen dürfen. Andere dürfen nicht.“ Erfinder zu sein, sei deshalb aus vielen Gründen oft komplizierter als gedacht.
Stand meiner Recherche: Sommer 2024. Copyright: Christoph Schumann, Hamburg, 2024.